Ein Teelöffel Wasser

Roger Reinhard

In diesen Tagen sollte jeder, der für Frieden ist, Wasser besorgen – wenigstens einen Teelöffel voll – und es in das Feuer gießen: Er sollte seine Stimme erheben gegen die Kriegsverbrechen der einen wie der anderen Seite und den Opfern dieser Verbrechen seine Hilfe anbieten.“ (Amos Oz, Tel Aviv)

Liebe Freundinnen und Freunde,

liebe Leute auf den Wegen des Friedens,

ich begrüße mit euch ein neues Jahr und fülle es mit neuen Vorsätzen und positiven Erwartungen. Ich wünsche uns, daß uns wie bisher die Hoffnung wider alle Hoffnungslosigkeit durch diese Zeit trägt.

Für mich sind die Tage des Jahresbeginns angefüllt mit Vorbereitungen für einen dreimonatigen Aufenthalt (24.Januar bis 23.April)in Palästina. Ich werde im Rahmen eines Freiwilligenprogramms für Nahost mitarbeiten, das der Weltkirchenrat (mit Sitz in Genf) innerhalb der Dekade „Gewalt überwinden“ begonnen hat.

Dabei geht es um konkrete Zeichen der Solidarität mit den bedrängten Menschen und um eine Unterstützung all jener, die gewaltfrei und aktiv für Frieden und Versöhnung eintreten auf beiden Seiten des Konfliktes. Der Focus der eskalierenden Auseinandersetzungen ist die andauernde militärische Besatzung und Besiedlung Palästinas durch Israel. So wird der Einsatz voraussichtlich das Begleiten gefährdeter Personen auf den durch die vielen Checkpoints des Militärs behinderten Wegen (z.B. zur Arbeit, zur Schule, zum Krankenhaus) ebenso einschließen wie die Teilnahme an gewaltfreien Widerstandsaktionen zusammen mit den örtlichen Friedensgruppen. Eine weitere Aufgabe wird die Förderung von Begegnungen sein zwischen den Menschen aus den verfeindeteten Parteien und die Vernetzung arabischer und israelischer Gruppen.

Mit regelmäßigen Berichten über die Beobachtungen und das Alltagserleben von Besatzung während des Aufenthaltes und nach meiner Rückkehr soll die Öffentlichkeit hierzulande sensibilisiert werden. Damit könnte die übliche Berichterstattung über den Konflikt in den hiesigen Medien ergänzt und gegebenenfalls korrigiert und  Menschen für eine Anteilnahme am Konflikt motiviert werden.

Ich habe inzwischen entsprechende Verträge mit dem WCC (World Council of Churches) und mit „Pax Christi“ Deutschland geschlossen. Welche Friedensgruppe in Israel oder Palästina mein Arbeit- und Gastgeber sein wird, das wird von einer Koordinationsstelle des Projektes in Jerusalem mit meiner Beteiligung noch ausgewählt.

Manche von euch fragen mich: was kannst du denn von außen kommend zum Löschen des Brandherdes beitragen? Ist dieser Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt überhaupt zu unterbrechen, nachdem er schon von den Beteiligten in der dritten Generation geschürt und schmerzhaft erlitten wird? Steigt doch die Hoffnungslosigkeit und Bitterkeit mit jedem Waffengang, mit jedem Reflex der Rache. Und die gesamte Region droht in Chaos und vollständiger Zerstörung menschlichen Lebens und Zusammenlebens zu versinken.

Ich erinnere den Gedanken von Christa Wolf: „Wenn wir die Hoffnung aufgeben, kommt, was wir befürchten, bestimmt!“ Nicht zuletzt geht es darum, die Zeichen von Hoffnung wahrzunehmen und zu verstärken, die auch in diesem Krieg von einzelnen Menschen und Gruppen ausgehen.

Natürlich verbinden sich für mich besondere Herausforderungen mit diesem Einsatz. In diesem langen und heillos aufgeladenen und scheinbar ausweglosen Konflikt spielen rassische und religiöse Vorbehalte keine geringe Rolle. Wie kann da dem Frieden der Weg bereitet werden? Was ist der Beitrag der christlichen Kirchen dazu? Haben die Theologen überhaupt etwas zu sagen? Ich freue mich auf die Begegnungen mit fremden Menschen und deren Erfahrungen, und auf die mögliche Entdeckung meiner Verwandtschaft mit ihnen.

Mit meiner Teilnahme an dem Projekt erfüllt sich für mich ein lebenslang gewachsener Wunsch. Mein innerer Anspruch trifft hier auf eine passende Anfrage von außen. Einmal mehr sehe ich mich geführt auf einem Weg, den ich selbst gewählt habe. Meine Entscheidung mobilisiert neue Energien in mir.

Ohne mein Verschulden hatte sich die Umsetzung meiner Pläne über ein Jahr verzögert. In dieser Wartezeit vertiefte und klärte sich meine Motivation. Zugleich hat sich die Familiensituation so entwickelt, daß Mathilde ihre Zustimmung aus ganzem Herzen gibt. Das ist für mich ein starker Rückhalt. Auch die Ermutigung durch meine erwachsenen Töchter Verena und Franziska erleichtert mir den Aufbruch.

Ich weiß mich in der Sache von vielen von euch getragen. Ich werde mich auf den Weg machen in enger Verbundenheit insbesondere mit den Mitstreitern der heimischen Friedensgruppen. Hier habe ich mein „Basislager“ für jede Unterstützung. Schließlich habe ich die Hoffnung, meine Erfahrungen der kommenden Monate in die Friedensarbeit nach der Heimkehr  einzubringen.

Ich kann nicht wissen, was an Gefahren auf mich zukommt. Ich weiß wohl um die möglichen Zumutungen wie beobachtete Gewaltanwendungen, Demütigungen von Menschen und Äußerungen des Hasses.

Sicher weiß ich mich allein in einem tiefen Vertrauen auf die unzerstörbare und verändernde „Kern-Energie“ in mir und in den Menschen, die mir begegnen werden. Ich wünsche mir ein stetiges Angebundensein an meine inneren Kraftquellen.

Ich werde vermutlich nicht viel für andere bewegen können. Ich gehe im Bewußtsein, die meine jahrzehntelange Friedensarbeit bewegt hat: Ich arbeite nicht zuletzt für meine eigene Würde, Selbstbestimmung und Freiheit.

Liebe Freunde, wir bleiben in Gedanken verbunden. Darüber hinaus gibt es die elektronische Verbindungsschnur, die zuerst zu Mathilde und zum Pax Christi Sekretariat führen wird.

Liebe Freunde, uns verbindet der Wunsch, daß das neue Jahr 2004 ein gesegnetes und friedvolles werde für uns und die von Krieg gepeinigten Menschen in allen Regionen der Erde.

 „PEACE IS NOT A SEASON – IT IS A WAY OF LIFE“. Diese Einsicht begleitet mich seit meinem ersten Besuch in Palästina vor sechs Jahren.

Shalom – Salaam

Franz-Roger Reinhard                                      Havixbeck, am 1.Januar 2004